Begründerin der modernen Caritas · Ordensgründerin
Ich weiß nicht, wer meine Mutter war, denn ich wurde als uneheliches Kind geboren. Mein Vater, verwitwet, nahm mich zu sich, um seinen feinen Ruf zu halten. Für meine Mutter war kein Platz. Als ich drei Jahre alt war, lernte mein Vater eine neue Frau kennen. Dann war auch für mich kein Platz mehr. Er schickte mich ins Kloster Saint-Louis de Poissy.
Es war der erste Ort, an dem ich Wärme und Liebe spürte. Mein Vater versorgte mich nur finanziell. Mit seinem Geld hielt er mich auf Distanz. Das Kloster bot mir Bildung und ein liebevolles Umfeld. Als ich dreizehn Jahre alt war, starb mein Vater. Ich lebte von einer kleinen Vollwaisenpension und dem Verkauf von Stickereien, die ich im Auftrag von anderen anfertigte.
Ich spielte immer wieder mit dem Gedanken, ins Kloster einzutreten, doch mein Umfeld riet mir dazu, zu heiraten. Ich hörte auf sie und heiratete mit 22 Jahren Antoine Le Gras. Er war Geheimkämmerer der Königin. Eine gute Partie. Wir bekamen einen Sohn. Recht bald danach änderten sich die Machtverhältnisse, wir wurden wieder arm und eine schwere Krankheit fesselte meinen Mann ans Bett. Ich pflegte ihn. Kümmerte mich. Und ich zweifelte zutiefst daran, dass Gott gerecht ist. Trotz all meiner Bemühungen starb mein Mann.
Hätte ich nicht Vinzenz getroffen, wäre ich meinem Mann freiwillig gefolgt. Vinzenz war durch und durch tatkräftiger Christ. Sein Gebet war die Tat und seine Leidenschaft für die Menschen ansteckend. Wir verstanden uns gut. Schnell arbeiteten wir zusammen im Team. Er vertraute mir und übertrug mir die Gesamtleitung für seine gegründete Bruderschaft.
Ermutigt von Vinzenz nahm ich selbst junge Bauernmädchen bei mir auf und unterrichtete sie im Lesen und Schreiben. Die Gesellschaft fand, dass Mädchen aus armen Hause das nicht brauchten, doch ich wusste, dass es keine Frage von Notwendigkeit, sondern von Würde war. Ich kümmerte mich um alle Menschen, die im Stich gelassen wurden. Dabei war ich nicht allein. Immer mehr Frauen schlossen sich mir an. Aus dieser Gemeinschaft heraus gründeten wir die Vinzentinerinnen.
Am 15. März 1660 starb ich, Luise de Marillac. Ich war für andere da, weil ich wusste, wie es sich anfühlt, allein zu sein.