Philosophin · Opfer des Holocaust
Mit 15 habe ich meinen Glauben verloren. Ich wuchs in einer jüdischen Familie auf. Seit mein Vater starb, sorgte meine Mutter für mich und meine zehn älteren Geschwister, indem sie den Holzhandel fortführte. Die Traditionen im Elternhaus erdrückten mich. Um wieder atmen zu können, beschloss ich, eine Zeit zu meiner Schwester zu ziehen, um ihr mit den Kindern zu helfen. Dort beschloss ich, nicht mehr an Gott glauben zu wollen und mich für das Wohl der Menschen zu engagieren. Ich wollte studieren. Deswegen ging ich zurück ins Elternhaus.
Ich studierte Psychologie, Philosophie, Germanistik und Geschichte in Breslau, Göttingen und Freiburg. Ich war ehrgeizig und promovierte mit summa cum laude. Für mich war klar, dass als nächstes die Habilitation anstand. Ich legte viermal eine Habilitationsschrift vor, jedes Mal wurde sie abgelehnt – nur, weil ich eine Frau war. Zu meiner Zeit brauchte es nicht viele Gründe, um jemanden minderwertig zu behandeln.
Ich wäre wohl in Verzweiflung ertrunken, wenn ich nicht Teresa von Ávila gelesen hätte. Ihr Leben gab meinem neue Freiheit. Ich erkannte: Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott – ob es ihm klar ist oder nicht. Und ich begriff, dass ich all die Jahre Gott suchte. Um diese Suche fortzusetzen, ließ ich mich taufen und begann, als Lehrerin zu arbeiten. Auch wenn es nun nicht mehr relevant war, dass ich eine Frau war, so wurde jetzt relevant, dass ich aus einer jüdischen Familie stammte. Die Nazis übernahmen die Macht.
Mit brennender Sorge schrieb ich Papst Pius XI. einen Brief, inständig bittend, dass er sein Wort erhebt. Doch er schwieg. Aus Angst, dem Institut zu schaden, in dem ich arbeitete, kündigte ich. Um meiner Suche weiter zu folgen, trat ich als Postulantin den Karmeliten bei. Dort wusste niemand von meinen Wurzeln, bis mich die Priorin verriet. Auch in meiner neuen Heimat in den Niederlanden hatte ich keinen Schutz. Denn auch den Nazis war egal, wer ich war. Sie sahen in mir nur eine Jüdin.
Am 9. August 1936 wurde ich, Edith Stein, nach Auschwitz verschleppt und sofort in der Gaskammer ermordet. Niemand wollte mein Volk und mich schützen und so starben wir.